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  • AutorenbildHeike Gehrmann

Neulich im Knast

Aktualisiert: 28. Feb. 2019


Die wenigsten von uns haben wohl schon mal ein Gefängnis von innen gesehen. Ist ja auch nicht so erstrebenswert. Und selbst von außen macht man gerne einen großen Bogen um den Knast. In Potsdam ist das anders - wenn Sie wollen ...


Nummer 7 weist auf ein grausames Kapitel Potsdamer Nachkriegsgeschichte hin

Zwischen dem Neuen Garten und dem Pfingstberg - heute ein schönes Potsdamer Villenviertel - befand sich ab dem Jahr 1945 eine Institution, von der die Bevölkerung nichts wissen sollte: eine der Zentralen der sowjetischen Geheimdienste in Deutschland - oder auch: das „Militärstädtchen Nr. 7“. Innerhalb dieses Terrains nutzte die militärische Spionageabwehr bei den sowjetischen Streitkräften in Deutschland von 1945 an ein mehrstöckiges Pfarrhaus als Untersuchungsgefängnis. Wie viele Menschen - in erster Linie Deutsche und Sowjetbürger - in diesem Gefängnis in der Potsdamer Leistikowstraße 1 unter menschenunwürdigen Bedingungen einsaßen, weiß man bis heute nicht genau. Seit zehn Jahre bemüht sich der Potsdamer Förderverein Gedenk - und Begegnungsstätte Leistikowstraße um die Aufklärung und Aufarbeitung der schrecklichen Geschehnisse dieser Zeit an jenem unseligen Ort.




Es ist ein kalter, regnerischer Nachmittag im Dezember. Was, das hier soll der KGB-Knast sein? Das Besucherzentrumsgebäude ist modern mit großen Fensterscheiben. Am Empfang sitzt ein freundlicher älterer Herr. Nein, entgegnet er auf meine Nachfrage hin, der Besuch hier in der Gedenkstätte kostet, sofern man keine Führung mitmacht, keinen Eintritt. Und ja, Fotografieren darf ich auch! Das zeigt: Man will, dass die Menschen hierher kommen, sich alles ansehen und die Eindrücke mahnend „in die Welt hinaus tragen“. So gehe ich wenig später mit meiner Kamera aus dem Empfangsgebäude hinaus und stehe auf einem schlaglochübersäten Hof. Dort sehe ich als erstes ein steinernes Modell, das das Areal und die einzelnen Gebäude des "Militärstädtchens Nr. 7" in voller Gänze zeigt. Ein großes Areal!


Und dann stehe ich vor dem Knast. Ein mehrstöckiges, früher sicher ansehnliches Gebäude mit spitzen Giebeln. Bis 1945 war es das Haus eines evangelischen Pfarrers. Doch dann kam der KGB und beschlagnahmte das Pfarrhaus in der Leistikowstraße 1.


Vom Pfarrhaus zum KGB-Knast: Villa in der Potsdamer Leistikowstraße 1

Und es begann dort in der damals Uliza Sportiwnaja (deutsch: "Straße des Sports") genannten Leistikowstraße eines der dunkelsten Kapitel der Potsdamer Nachkriegszeit.


Die vom KGB aus den unterschiedlichsten Gründen dort eingelieferten Menschen wurden in dem "Villen-Knast" verhört und durch Folter zu Geständnissen gezwungen, die oft die Grundlage für die spätere Verurteilung nach "Artikel 58" waren. Angewandt wurden „lupenreine“ stalinistische Methoden!



Natürlich gab es für die Gefangenen weder Rechtsbeistand noch Besuchs- oder Schreiberlaubnis. Dauerverhöre, Schlafentzug und Isolationshaft in Einzelzellen, den sogenannten Steh-Karzern von der Größe eines Gäste-WCs, sollten die Gefangenen gefügig machen und zum Geständnis zwingen.


Ohne Fenster und Lichtquelle: Stehkarzer für die Einzelhaft

Nach der Verurteilung und den oft langen U-Haft-Jahren in der Leistikowstraße wurden die Gefangenen in Lager und Gefängnisse der SBZ/DDR oder auch in Lager des Gulag in der Sowjetunion, so u.a. nach Workuta in Sibirien transportiert. Die zum Tod Verurteilten wurden größtenteils in Moskau erschossen. Berichte von Zeitzeugen offenbaren aber auch Exekutionen nur wenige Schritte vom KGB-Knast entfernt im Mirbachwäldchen bzw. in Brandenburger Wäldern.


Die Angehörigen der Gefangenen wussten jahrzehntelang weder etwas vom Verbleib noch dem weiteren Schicksal der KGB-Opfer. Die damals jüngsten Gefangenen waren - ebenso unglaublich wie wahr - Teenager! Eine Gruppe Potsdamer Gymnasiasten, von denen heute noch einer lebt. Seine Kumpel hat der KGB auf dem Gewissen. Der damalige Haftgrund? Selbst wenn man die zugehörige Dokumentation gewissenhaft liest, wird man ihn nicht verstehen. Heute nicht - und damals nicht.


Denn schon der bloße Verdacht rechtfertigte die Festnahme! Erst danach wurde vom KGB ermittelt: Hausdurchsuchungen, erpresste Zeugenaussagen und Gegenüberstellungen waren nur einige „Mittel der Wahl“.


Menschenunwürdig waren auch die sanitären Anlagen

1994 wurde das Militärstädtchen Nr. 7“ aufgelöst - als einer der letzten russischen Standorte in Deutschland. Erst danach wurde nach und nach das bekannt, was Sie hier gerade knapp zusammengefasst lesen und sehen.


Es bleibt mir nur zu sagen:

Mit Worten ist das alles an sich nicht zu beschreiben. Daher: selbst hingehen. Alles anschauen und die Zeitzeugenberichte lesen. Und ja, vielleicht dann auch vor Entsetzen weinen. Denn begreifen wird man all das nicht, was an jenem Schauplatz grausamster KGB-Repressionsgeschichte geschah. Umso mehr Respekt gilt den Betroffenen und Zeitzeugen. Einige leben noch und stellen sich in Veranstaltungen den Fragen Interessierter.


Nachklapp:

Es war einmal ein kleiner, unbedeutender KGB-Verbindungsoffizier in der SBZ. Allerdings mit guten Kontakten zu anderen „ befreundeten Diensten“. Auch im Potsdamer „Militärstädtchen Nr.7“ wurde er gesehen. Ab und zu besuchte er auch das Potsdamer Stasi-„Casino", wo er "auch gerne im Quelle-Katalog blätterte“. Damals kannte ihn kaum jemand. Heute kennt ihn die ganze Welt: Wladimir Wladimirowitsch Putin.


Mögen die Gräueltaten des KGB niemals in Vergessenheit geraten!

Weitere Infos:

Potsdamer Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße: www.leistikowstrasse-sbg.de/

Der Individual-Eintritt ist frei.

Aufgrund der mitunter sehr bedrückenden Atmosphäre wird bei Besuchern ein Mindestalter von 12 Jahren empfohlen. Fotografieren und Filmen zu privaten Zwecken ist gestattet.

Wenn Sie die Gedenkstätte unterstützen möchten, können Sie dort gern eine Spende hinterlassen.



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