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  • AutorenbildHeike Gehrmann

Feind im eigenen Land?

Aktualisiert: 25. Jan. 2020



Klar hatte ich im Westen von der Stasi gehört. Und klar hatte ich auch den Namen Erich Mielke gehört, der das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in Ost-Berlin als von Moskau gelenkter oberster Terror-Guru regierte. Und ja, selbst von der Normannenstraße hatte ich gehört. Allerdings erst nach dem Mauerfall, als mir ein junger Ostdeutscher in meiner Zeit als Lektorin in Budapest von seiner Verhaftung in der früheren DDR und den schrecklichen Stasi-Kreuzverhören erzählte. Damals 1991, konnte ich diesen Betroffenen-Bericht kaum glauben ...




Doch nun stehe ich direkt vor dem Haus 1 des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in Berlin-Lichtenberg. Heute beherbergt es das Stasimuseum. Früher ging dort Genosse Mielke mit seinen Schergen ein und aus. Seine Büro-Etage ist im 2. Stock noch originalgetreu erhalten. Unten im Foyer zeigt ein Modell den sieben Hektar großen Komplex des MfS-Machtgefüges: Lange Straßenzüge mit unzähligen Büro- und sonstigen Bauten von der Frankfurter Allee über Rusche- und Magdalenen- bis hin zur Normannenstraße dienten von 1950 bis Anfang 1990 der „nationalen Sicherheit der deutschen Demokratischen Republik und ihrer Bürger“.


Mielkes Machtapparat: Sieben Hektar in B.-Lichtenberg

Heute weiß man, dass hier das "geistige Zentrum" des Unrechts, der perfiden Unterstützung der SED-Willkürherrschaft und der Unterdrückung unzähliger Ostdeutscher war. All das wurde aber erst am 15. Januar 1990 in Einzelheiten bekannt, als DDR und SED nach den überraschenden politischen Ereignissen des 9. November 1989 längst im Auflösungsprozess waren.


Zur besseren Einordnung der diffizilen Thematik erfolgt hier eine Chronologie der Geschehnisse. Ob sie zum Verständnis der Stasi beiträgt? Ich glaube nicht. Eher im Gegenteil. Zeigt sie doch, wozu Menschen, in jenem Fall Männer der unteren Bildungsschicht (nichts anderes waren Mielke und seine Stasi-Veteranen) fähig sind, wenn man sie an staatlichen Hebeln agieren lässt.


Doch der Reihe nach.


Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs errichten die vier Siegermächte im zerstörten Deutschland vier Besatzungszonen. Der Ostteil Berlins und Deutschlands wird von der Siegermacht Russland zur sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Die Sowjets etablieren dort eine deutsche Verwaltung des Innern nach Moskauer Maßstäben.


In ihrem Verantwortungsbereich entsteht schnell auch eine politische Polizei, die K5. Im Dezember 1948 genehmigt Sowjetdiktator Stalin auf Drängen der SED-Führung die Einrichtung einer eigenen deutschen Geheimpolizei. Diese baut Erich Mielke unter sowjetischer Führung als "Hauptverwaltung zum Schutz der Volkswirtschaft" auf. Schon hier zeigt sich die wahre Gesinnung des späteren MfS-Ministers. Die SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, hervorgegangen aus der Zwangsvereinigung am 21./22. April 1946 von SPD und KPD), die die Geschicke der noch in den Kinderschuhen steckenden DDR nach sowjetischem Vorbild lenkt, ist schon zu dieser Zeit nicht unumstritten. Kein Wunder. Es gibt keine freien Wahlen, Parlament und Justiz werden von der SED gesteuert. Gewaltenteilung der staatlichen Macht? Fehlanzeige!


Das MfS verstand sich als Schild und Schwert der SED

Zur Absicherung der Herrschaft baut sich die SED einen gigantischen Sicherheitsapparat auf: das am 8. Februar 1950 geschaffene Ministerium für Staatssicherheit (MfS) - im Volksmund als Stasi bezeichnet. Es ist zugleich politische Geheimpolizei, strafrechtliche Ermittlungsbehörde und Auslandsnachrichtendienst (HVA unter Führung von Markus Wolf).


Mit dem Amtsantritt des in Moskau auf harte Linie getrimmten, 163 Zentimeter kleinen, aber umso biestigeren Erich Mielke als MfS-Minister im Jahr 1957 übernimmt die SED immer mehr die Kontrolle über Staatsgeschicke und den Alltag der Bürger in der DDR. Sowjetische Geheimdienstoffiziere, sogenannte Instrukteure, haben allerdings auch weiterhin ein Auge auf das MfS, erteilen Weisungen aus Moskau, beaufsichtigten die Personalauswahl der oberen Ebenen und lenken maßgeblich die Arbeit der Stasi mit.


Je mehr der Kalte Krieg zwischen Ostblock-Ländern und westlichen Staaten, zwischen Sozialismus und Kapitalismus schwelt, desto bedrohter fühlt sich das SED-Regime vom „kapitalistischen und imperialistischen Feind im Westen“. Dieses Dogma dient SED und MfS vom ersten bis zum letzten Tag der DDR als Legitimierung (!) für all das Perfide, was über die Jahrzehnte hinweg unter der Ägide Mielkes von der Stasi getrieben wird. So werden zum Beispiel wirtschaftliche Störfälle in der DDR als westliche Sabotageakte angesehen und auf "Schädlingsarbeit“ zurückgeführt.


Aber auch jegliche kritische Meinungsäußerung und oppositionelles Verhalten in der DDR-Bevölkerung werden in den Augen von SED und Stasi als „ feindlich-negative Erscheinungen“ eingestuft: „Natürlich sind diese Verhaltensweisen von westlichen Drahtziehern gesteuert. Und natürlich gilt es, die Störfaktoren ausfindig und unschädlich zu machen", lautet Mielkes Mantra.


Wie armselig musste eine Regierung sein, die aus Angst vor der eigenen Bevölkerung über Jahrzehnte hinweg mit solchen Repressalien agierte, wie sie ab 1990 bei der SED-Aufarbeitung enttarnt wurden!


Genosse Erich & Genosse Erich vor der Stasi-Zentrale

Nicht nur westliche Länder wie die BRD geraten immer mehr ins Fadenkreuz der Stasi und ihrer Spitzel. Man denke nur an den Fall von Bundeskanzler Willy Brandt, der von seinem Mitarbeiter Günther Guillaume im Dienst der HVA unter Geheimdienstchef Wolf ausspioniert wurde und zurücktreten musste.

Auch mehr und mehr Ostdeutsche werden für die DDR-Führung zu „Feinden im eigenen Land“ und sagen Ulbricht, Honecker und dem SED-Staat Adieu. Von 1949 bis 1961 kehren zig Bürger ihrer Heimat den Rücken. Das dient dem Image der Deutschen Demokratischen Republik nicht wirklich.




Daher muss gehandelt werden! In der Nacht zum 13. August 1961 lässt die SED die Berliner Sektorengrenze abriegeln. Straßensperren werden hochgezogen. Am Ende steht die Mauer in Berlin, und durch Deutschland zieht sich ein scharf bewachter Grenzwall. Mit dem Mauerbau erhält die Stasi weitere Aufgaben: Grenzsicherung bis tief in die DDR hinein, Republikfluchten verhindern und - besonders verbrecherisch - Todesfälle an den Grenzanlagen vertuschen.



Ein Land sperrt seine Bürger ein. Hat es so etwas in dieser Dimension je gegeben? Heute würde man vielleicht flapsig sagen: „Geht’s noch?“ Doch damals zu Zeiten des Kalten Kriegs fehlte nicht viel zum Ausbruch eines dritten Weltkonflikts. Und so schaut man in der restlichen Welt inklusive Weißem Haus zu, was da in Deutschland Ost und West "Merkwürdiges" passiert. Und lässt Moskau hinter den Kulissen des DDR-Regimes mit Mielke und Konsorten eifrig weiter agieren.


Mielkes Büro: Hier wurde viel Schindluder getrieben

Am 1. August 1975 unterzeichnen die USA, die UdSSR, Kanada und fast alle europäischen Staaten - so auch die DDR - die KSZE-Schlussakte von Helsinki. Damit wird die Nachkriegsordnung von allen Unterzeichnern akzeptiert. Weiterer wichtiger Punkt der KSZE-Akte ist „die Wahrung der Menschenrechte“. Auch die DDR-Führung unterzeichnet diesen Punkt. Daraufhin kommt es in der DDR unter Berufung auf die KSZE-Schlussakte zu massenweise Ausreiseanträgen von Bürgern. Was tun?

Offene Gewalt kann sich die DDR-Führung zu jener Zeit nicht mehr leisten. Aufstände wie damals 1953 in der DDR, 1956 in Ungarn und 1968 in Prag - stets mit sowjetischer Unterstützung blutig niedergeschlagen - gab es schon genug. Zudem haben auch die UdSSR die KSZE-Schlussakte und Menschenrechtsachtung unterzeichnet. Moskau hilft zumindest vordergründig nicht mehr weiter. So greifen SED und MfS zu subtileren Methoden: Es kommt massenweise zu Bespitzelungen, Strafandrohungen und Inhaftierungen der Ostdeutschen.


Die 1980er Jahre zeigen die immer größer werdenden wirtschaftlichen Probleme der Sowjetunion. Ab 1986 sieht sich Staats- und Parteichef Gorbatschow gezwungen, die schwerfällige zentralistische UdSSR-Verwaltung umzubauen und Politreformen einzuleiten. „Perestroika“ wird zum Schlagwort.

Auch in der DDR hofft die Bevölkerung auf Reformen und Freiheiten. Das SED-Regime aber zeigt sich spätestens jetzt mit dem von Gorbi in Moskau angefachten "Wind of Change" komplett überfordert. Es kommt zu noch stärkeren Kontrollen der Bürger, Zersetzungs-Maßnahmen und immer massiverem Einsatz von Spitzeln, den Inoffiziellen Mitarbeitern (IM) und den Gesellschaftlichen Mitarbeitern für Sicherheit (GMS). Mielke und sein MfS machen „ganze Sache“.


Was hauptamtliche MfS-Mitarbeiter nicht bewerkstelligen können oder wollen, erledigen die IM: Sie berichten über Meinung in der Bevölkerung, liefern Informationen aus dem westlichen Ausland und entwenden private Unterlagen. Zudem stellen sie Wohnungen für Treffen, Deckadressen und Telefone zur Verfügung. Auch bei der Beschaffung von Wohnungsschlüsseln von „feindlichen Elementen“ helfen sie. So wendet sich die Stasi zwar vordergründig vom offenen Terror wie damals 1953 beim Volksaufstand ab, gewinnt jedoch durch die Kontrolle, Überwachung und Bespitzelung aller Lebensbereiche immer mehr an Bedeutung. 1989 arbeiten für das MfS an die 180.000 Personen als IM neben dem gigantischen hauptamtlichen Mitarbeiter-Stab. IM zu gewinnen, ist für das MfS nicht schwer. Manche machen aus finanziellem Interesse oder Überzeugung mit. Viele aber werden vom MfS gezwungen, um eine Haftstrafe oder andere Repressalien abzuwenden



Mit der Flucht von zehntausenden DDR-Bürgern im Sommer 1989, regelmäßigen Demonstrationen und offen auftretenden Regimekritikern wird das Ende der DDR eingeleitet. Das Regime gerät immer mehr ins Wanken. Der Große Bruder in Moskau aber hat zu jener Zeit längst erkannt, dass in dem Land „nix mehr zu holen ist“, denn die DDR ist pleite - trotz MfS-Oberst Schalck-Golodkowskis KoKo (Kommerzielle Koordinierung).

Schalck ist für den (inoffiziellen) Handel mit dem kapitalistischen Ausland verantwortlich und sackte 1983 nach Verhandlungen mit Franz Josef Strauß unter anderem einen westdeutschen Milliardenkredit für die DDR ein. Damit konnte der Staatsbankrott abgewendet werden.


Sechs Jahre später aber liegt die DDR-Wirtschaft total darnieder, wie Schalck mit weiteren Genossen in der Politbürovorlage „Analyse der ökonomischen Lage der DDR mit Schlussfolgerungen" für die Politbürositzung vom 30. Oktober 1989 preisgibt. In dieser Vorlage wird aufgrund der hohen Staatsverschuldung gegenüber den westlichen Ländern die unmittelbar bevorstehende Zahlungsunfähigkeit der DDR angesprochen. Schalck selbst sagt nach dem Ende der DDR unter dem Decknamen „Schneewittchen“ beim BND über die kriminellen Wirtschaftsmethoden der KoKo und über seine Tätigkeit für das MfS aus - und kommt straffrei davon.


Am 7. November 1989 tritt der DDR-Ministerrat zurück, darunter auch MfS-Minister Mielke. Nach der Grenzöffnung am 9. November verliert das MfS immer mehr die Kontrolle. Am 17. November wird es von der Volkskammer noch schnell in AfNS umbenannt - damit sollen Reformen vorgetäuscht werden. Der Schutz des Sozialismus und die Bekämpfung seiner Feinde als Zielsetzung aber bleiben erhalten.



Couragierte DDR-Bürger haben da längst erkannt, dass es höchste Zeit ist, Beweise für Mielkes MfS-Unwesen zu sichern. Denn die Mitarbeiter von MfS/AfNS sind zu jener Zeit schon emsig dabei, den Reißwolf mit Stasi-Akten zu füttern und Spuren des verbrecherischen Agierens zu beseitigen.


In Berlin berichtet am 15. Januar 1990 ein Vertreter des Ministerrats am Zentralen Runden Tisch (zusammengesetzt aus Abgesandten der Bürgerrechtsbewegung und Vertretern des SED-Regines) erstmals über das Ausmaß der Bewachung der DDR-Bevölkerung durch das MfS. Unter den 36 Teilnehmern dieser Runde befinden sich auch 16 IM.



An jenem Tag versammelt sich am Nachmittag eine Menge wütender Demonstranten vor der Stasi-Zentrale in der Normannenstraße. Als sich das Stahltor in der Ruschestraße öffnet, strömen sie zu Haus 18, dem MfS-Versorgungstrakt, verwüsten dort Büros und konfiszieren unter anderem Westspirituosen. Die Stasi-Akten im Archiv aber bleiben an jenem Tag weitgehend unangetastet. Warum? Möglicherweise, weil unter den Demonstranten auch IM waren, die es schafften, die aufgebrachte Menge in Richtung Haus 18 - dort wurden kaum Akten archiviert - zu lotsen.


Vieles an Stasi-Terror-Beweisen ist zu jener Zeit eh längst vernichtet. Die weitere Zerstörung wird in den Folgemonaten von den Bürgerkomitees in den Bezirken der DDR unterbunden. Doch selbst da sind noch immer Mitglieder des MfS aktiv, um die Aktenvernichtung voranzutreiben.


Erich Mielke wird 1993 verhaftet. Allerdings wegen einer anderen Straftat, dem sogenannten Rotmord (auf dem Fahndungsplakat ist er oben rechts zu sehen). Mielke hatte am 9. August 1931 zusammen mit dem Selbstschutzmann Erich Ziemer vor dem Hauptquartier der KPD am Berliner Bülowplatz die Polizeioffiziere Anlauf und Lenck aus dem Hinterhalt erschossen.


Hätte ihn die KPD daraufhin nicht flugs mit gefälschten Papieren zum Untertauchen in die Sowjetunion gebracht, wäre das hier aufgezeigte Kapitel der DDR vielleicht anders verlaufen. So aber wirkte Erich Mielke über drei Jahrzehnte hinweg von 1957 bis 1989 nicht nur mit eisernem Besen als Stasi-Minister, sondern auch als nicht dingfest gemachter Straftäter mit jeder Menge Blut an den Händen.


Weitere Infos:

www.stasimuseum.de

www.bstu.bund.de



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